Gerbermeister Oettrich wagt sich in die Selbstständigkeit
Ich gerbe den Leuten wieder das Fell
Manfred Oettrich eröffnet heute seine Gerberei in Doberlug-Kirchhain. Mit all seinem Mut wagt er den Schritt in die Selbstständigkeit. Er sieht aber auch die fast 400-jährige Gerbertradition in der Stadt, die nicht sterben darf, wie er meint.
Das Gerberhandwerk in Doberlug-Kirchhain ist nach der Wende fast ausgestorben. Was bis dahin Generationen ernähren konnte, langte plötzlich nicht mehr als Auskommen. Auch die Gerberei Oettrich, direkt an der Kleinen Elster in der Hennersdorfer Straße, sollte es nur noch bis 1994 geben. Dann machte Vater Richard zu. Zwölf Jahre dümpelten Werkstatt, Maschinen und Werkzeuge vor sich hin. Jetzt wird alles wieder aktiviert. Der Sohn Manfred, selbst seit fast 20 Jahren Gerbermeister, knüpft da an, wo der Vater aufgehört hat.
Von der Pike auf gelernt
Der 41-Jährige hat sich diesen Schritt gut überlegt. «Gerbermeister Dieter Glauche, der unseren Berufsstand noch hochgehalten hat, ist in diesem Jahr in den wohl verdienten Ruhestand gegangen und hat mir bei der Einrichtung der Werkstatt geholfen und einige gute Tipps gegeben. Auch einen Teil seines Kundenstammes kann ich übernehmen.» Was das handwerkliche Rüstzeug angeht, hat Manfred Oettrich im väterlichen Betrieb alles von der Pike auf gelernt. Er ist Gerber in der fünften Generation in seiner Familie. Die Oettrichs haben also rund 200 Jahre das Gerberhandwerk in Kirchhain mit geprägt, gut die Hälfte der 400-jährigen Gerbergeschichte der Stadt.
1987 legte Manfred Oettrich als 22-Jähriger seine Meisterprüfung ab. «Am Tag der deutschen Wiedervereinigung war ich der jüngste Gerbermeister der DDR» , erzählt er. Und doch packte er 1990 erst einmal die Sachen und arbeitete mit seinem Bruder bis 1993 in einer Gerberei bei Wiesbaden. «Ich war Abteilungsleiter in der Wasserwerkstatt, dann setzte auch dort das Gerberei-Sterben ein» , erinnert er sich.
Manfred Oettrich suchte beruflich nach einer neuen Orientierung und setzte sich dazu noch einmal auf die Schulbank. Von 1993 bis 1995 vertiefte er sich ins Kaufmännische und machte einen zweiten Berufsabschluss als Industriekaufmann. Er arbeitete u. a. im Glaswerk Schönborn. Die letzten sechs Jahre pendelte er zwischen Doberlug-Kirchhain und Großenhain, wo er das Marketing für eine Firma, die Pkw-Anhänger baut, übernahm. Seit April ist er aber wieder arbeitslos. Bewerbungen im kaufmännischen Bereich blieben erfolglos.
«Schon 1999 trug ich mich mit dem Gedanken, mich selbstständig zu machen» , räumt er ein. Jetzt ist es so weit: Manfred Oettrich bietet ab heute das Gerben und Zurichten von Fellen und Häuten an. «Ich orientiere mich auf die Pelzgerberei und habe mir dafür extra noch ein paar Maschinen aus dem Vogtland geholt.» Brandenburg habe viele Wälder, in denen viele Tiere leben, argumentiert er. Jäger, Schäfer, Kaninchenzüchter – Oettrich ist nicht bange, denn erste Anfragen sind bereits bei ihm eingegangen. Den nächsten Gerbermeister gibt es erst in Leipzig. Nach Norden hin fände sich der nächste gar erst in Rostock.
Auf dem Grundstück an der Kleinen Elster befindet sich seit 1850 eine Gerberei. «1922 hat sich hier mein Großvater selbstständig gemacht» , erzählt der 41-Jährige. Von 1951 bis 1961 war er Obermeister der Gerber in Brandenburg.
Zusammenarbeit mit Museum
Oettrich sucht auch die Öffentlichkeit und kann sich eine Zusammenarbeit mit dem Weißgerbermuseum gut vorstellen. «Dort wird die geschichtliche Seite erklärt, bei mir könnte man die Produktion live sehen» , überlegt er. Dabei ist ihm wichtig, das Handwerk, «was ja nicht fein ist – es stinkt und ist schwere Arbeit» , ins richtige Licht zu rücken. «Ich will den Leuten klar machen, dass es für 30 Euro keine Schuhe geben kann» , umschreibt er.
Heike Lehmann