14.02.2011 – Lausitzer Rundschau


Innungslade ist jetzt ein Museumsstück

200 Jahre Kirchhainer Gerbergeschichte als Dauerleihgabe an die Stadt übergeben / Platzeck war Ehrengast

Doberlug-Kirchhain „Ich habe schon immer ein gewisses Fingerspitzengefühl bewiesen“, kommentierte Bürgermeister Bodo Broszinski (FDP) am Samstagmittag vor dem Rathaus, dass sich schon nach wenigen Sekunden die Innungslade der Kirchhainer Gerber öffnen ließ. Mit zwei Schlüsseln und ein bisschen Geschick gelangt man an die 200-jährige Gerbergeschichte der Stadt.

200 Jahre Gerberinnung – Hans-Georg-Procopius (r.) übergibt die Schlüssel für die Innungslade an Bürgermeister Bodo Broszinski. Fotos: Heike Lehmann

Hans-Georg Procopius, letzter Obermeister der Berufsgruppe der Gerber in den Jahren von 1985 bis 1990, hatte die Schlüssel feierlich an das Stadtoberhaupt übergeben.

Am 12. Februar vor 200 Jahren stellten die Kirchhainer den Antrag auf eine eigene Gerber innung. Das war den verbliebenen zehn Traditionshandwerkern Anlass, sich auf den Tag genau würdig von ihren Dokumenten zu trennen. Selbst Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) reiste aus Potsdam an, um diesem symbolischen Akt beizuwohnen. Überrascht streifte er die weißen Glacé lederhandschuhe über, die ihm der Bürgermeister zur Begrüßung schenkte. »Ich bin gern der Einladung gefolgt«, erklärte er den Gerbern und neugierigen Einwohnern vor dem Rathaus. »Mein erster Schwiegervater war ein Gerbermeister in Weida«, fügte er an. Er habe Respekt davor, wie die Kirchhainer mit ihrer Geschichte umgehen, auch wenn es ein bisschen traurig sei, dass es nur noch wenige Gerber in der Stadt gibt.

Bis 1990 hielten sich neben der volkseigenen Lederfabrik 14 private Gerbereien in Kirchhain. Da es aber seitdem keinen Obermeister mehr gibt, habe man sich entschlossen, das gute Stück der Stadt als Dauerleihgabe fürs Weißgerbermuseum zu überlassen, erklärte Manfred Oettrich, neben Arno Wolf und Paul E. Höppner einer der drei letzten ausübenden Gerbermeister in Doberlug-Kirchhain. »Ich fühle mich damit nicht als Obermeister oder Gerbermeister«, stellte Broszinski klar. »Aber als Kind dieser Stadt nehme ich die Lade gern in Verwahrung.«

Das Ritual der Übergabe ist seit Generationen unverändert. Die jüngsten Meister müssen sie übergeben. Eine Aufgabe für Manfred Oettrich (45) und Harald Schilling (56). Schilling hatte die Gerberei wie viele andere mit der Wende an den Nagel gehängt. Bis zur Technischen Ausstellung des Weißgerbermuseums teilten sich Oett rich und Höppner die Aktenlast.

»Die Lade war das Vermächtnis der Innung, eine Zeit lang auch die Kasse. Was nicht gleich jeder erfahren sollte, wurde darin aufbewahrt, auch Petschaft und Siegel«, erzählte Procopius. Die Lade selbst könnte »zwischen 1811 und der ersten Eintragung im ersten Handwerksbuch von 1824 angeschafft« worden sein, vermutet Procopius, der die Kirchhainer Gerbergeschichte in einer Broschüre veröffentlicht hat.

Der sächsische König lehnte seinerzeit das Kirchhainer Ansinnen ab. Das 1811 ausgearbeitete Statut liegt im Brandenburgischen Landesarchiv in Potsdam. Überdauert hat aber die Gemeinschaft der Gerber. Jährliche Ausflüge gibt es bis heute noch. Pökelrinderbrust mit Meerrettich, das traditionelle Mittagessen zur Übergabe der Lade, gab es am Samstag im Museum vielleicht zum letzten Mal.

Petschaft und Siegel der Kirchhainer Gerber.

Heike Lehmann